Deliberation trifft Deep Learning
Künstliche Intelligenz in der politischen Meinungsbildung
VON SVENJA RÖSCH
Fast die Hälfte der Deutschen sieht in Künstlicher Intelligenz eine Gefahr für die Demokratie. Eine Studie des TÜV-Verbands aus dem vergangenen Superwahljahr belegt die Sorge vor gezielter Einflussnahme auf politische Meinungsbildung. Liegen hier Risiken und Chancen nahe beieinander? Forschung und Praxis geben Einblicke in die demokratischen Einsatzmöglichkeiten von KI.
„Die Suche nach demokratiefördernden Anwälten“
„Was meinen wir eigentlich mit Demokratie?“. Für Markus Patberg, Demokratietheoretiker und Gastprofessor am OSI, ist diese konzeptionelle Vorklärung zentral bevor wir uns „auf die Suche nach demokratiefördernden Anwälten“, sprich technischen Tools, begeben. Die Euphorie über das technische Potenzial verschleiere oft die eigentlichen demokratischen Herausforderungen, welche es zu bewältigen gebe. Sollen Demokratien Entscheidungen von deliberativer Qualität produzieren, die also durch den Austausch von Argumenten geprägt sind, so sei laut Patberg eine Überlegung, dass KI-Systeme unterschiedliche Positionen analysieren, Policy-Vorschläge formulieren und so zur Konsensfindung beitragen könnten.
Im Bereich der Deliberation erkennt er am ehesten Potenzial für die KI. Denkbar sei zum Beispiel die Aufbereitung komplexer Inhalte, um Barrieren abzubauen und Inklusion zu ermöglichen. Auch könnten neue Beteiligungsformate dafür sorgen, Repräsentativität zu erhöhen. Als Mediator könne KI möglicherweise zwischen unterschiedlichen Positionen vermitteln und zur Dialogförderung beitragen. Solche Anwendungen stünden laut Patberg jedoch noch ganz am Anfang.
„Civility by Design“
Beim ZDF findet man mit dem „Public Spaces Incubator“ bereits ein erstes Modellprojekt. Seit über zwei Jahren wird hier KI zur Förderung einer „lebendigen Demokratie“ eingesetzt. Ziel ist es, die eigenen Plattformen wie die ZDF-Mediathek und die ZDF heute News Website nach dem Motto „Civility by Design“ von reinen Distributions- zu Dialogplattformen umzubauen.
Die Nachfrage sei vorhanden und der Vorteil deutlich: „Wir können unsere Plattform so bauen, dass nicht der Lauteste gewinnt, sondern eine möglichst gelungene Kommunikation stattfindet.“, so der Projektbeauftragte Robert Amlung, Head of Digital Strategy beim ZDF und ehemaliger OSIaner. Eine breite und repräsentative Diskussion zugänglich zu machen, dem sei man auch per Auftrag verpflichtet. Dazu wurden rund 100 Prototypen entworfen, wovon insgesamt neun es in die Weiterentwicklungsphase geschafft haben und nun getestet werden. Der erste öffentliche Test beginnt in diesen Tagen.
Um den digitalen Dialog zu stärken, setzt das ZDF auf Vielfalt in seinen Funktionen. Indem unterschiedliche Rollenzugehörigkeiten der Nutzer:innen bei den Kommentaren sichtbar gemacht werden, soll der Prototyp „Representing Perspectives“ Repräsentativität fördern. So auch der „Comment Slider“. Ein verschiebbarer Regler soll Nutzer:innen erlauben, sich entlang eines Meinungsspektrums einzuordnen. Auch ohne aktiv Kommentare zu verfassen, kann so am Diskurs teilgenommen werden. Teilhabe, vor allem an inhaltlichen Formaten, soll die Funktion „Ask me anything“ stärken. Dabei können Nutzer:innen der Redaktion und den Gästen in Echtzeit Fragen stellen. Vor allem käme KI aber als Moderatorin zum Einsatz, damit die Community Guidelines eingehalten werden. Demnächst soll sie auch eingreifen können, wenn Diskussionen entgleisen und die Teilnehmer:innen wieder an das Ausgangsthema erinnern.
„KI ist keine Naturgewalt“
Eine der größten demokratischen Herausforderungen sieht Patberg vor allem darin, die technologische Entwicklung aktiv mitzugestalten, statt sie nur zu beobachten. Während Unternehmen in ihrem Interesse KI-Anwendungen vorantreiben, hinke die Politik hinterher. In der Debatte fehle das Bewusstsein, dass KI eine gestaltbare und regulierbare Entwicklung sein sollte und nicht über uns kommen muss wie eine Naturgewalt. Der AI-Act der EU, der im August 2024 in Kraft trat, sei daher für Demokratien die derzeit rationalste Antwort auf KI.
Und nun?
„Man wird sich irgendwann keinen Kopf mehr machen, dass man KI benutzt. Man muss aber lernen, wie man es benutzt“, prognostiziert Robert Amlung. KI sei eine Basistechnologie, deren gesellschaftliche Debatten sich mit denen zur Einführung des Internets vergleichen ließen. Welche Implikationen KI jedoch für politische Prozesse und die demokratische Ordnung hat, beginnt laut Markus Patberg erst allmählich in der Politikwissenschaft anzukommen. Eine Herausforderung sei die mangelnde Interdisziplinarität in den Forschungsgruppen. Welche Potenziale KI in der Deliberation jenseits der Öffentlich-Rechtlichen entfalten kann, ist völlig offen. In welche Richtung es geht, haben wir alle noch in der Hand.
| Markus Patberg ist seit 2024 Gastprofessor für Politische Theorie und Rechtstheorie am OSI und an der Universität Hamburg als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der Demokratie- und Verfassungstheorie sowie in der Internationalen Politischen Theorie. Aktuell befasst er sich mit den Auswirkungen der Digitalisierung, vor allem digitaler Plattformen, auf die politische Öffentlichkeit und deliberative Entscheidungsprozesse. | Robert Amlung ist Head of Digital Strategy beim ZDF und beschäftigt sich mit digitalen Innovationsprojekten. Für verschiedene Sender hat er die Internet-Redaktionen und die Abteilung Neue Medien aufgebaut. Er absolvierte eine Ausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München und studierte in den 1980er-Jahren Politikwissenschaften am OSI. In Erinnerung behält er eine „tolle Zeit, tolles Institut und damals tolle Leute“. |


