„Das Verhältnis von Medien und Politik war schon immer ambivalent“
Die dienstälteste CSU-Bundestagsabgeordnete Dorothee Bär über Aufregung, Gelassenheit und das OSI
VON CHRISTINE KOLMAR UND ELÉANA ARIOLI
Die Neugier und Zugewandtheit von Dorothee Bär gegenüber den OSI-Studierenden im Paul-Löbe-Haus ist mehr als professionelle Attitude. „Ich habe mich auf die Diskussion mit Ihnen richtig gefreut, auf ein Flashback in die eigene Studentenzeit, obwohl es sich noch gar nicht so anfühlt, als wäre es ewig lange her“, sagt die 46-Jährige und erkundigt sich erstmal, wie ihre Gäste die Auseinandersetzungen an den Universitäten in Bezug auf den Nahen Osten empfinden. Sie hört genau zu. Urteilt nicht. Lobt das Studienfach: „Ein ganz großartiges Studium für die Praxis. Ich denke, ich war eine der wenigen Abgeordneten, die tatsächlich wussten, wie so ein Gesetz gemacht wird, als sie neu in den Bundestag kam.“
Allerdings: Als Bär im Jahr 2005 ihr Politologie Studium am OSI mit einem Diplom abschloss, saß sie schon 3 Jahre lang als Abgeordnete im Deutschen Bundestag. „Ich bin immer zwischen Reichstag und OSI hin und her gependelt“, erzählte sie damals bei ihrer Diplomfeier. „Ich dachte, es erkennt mich keiner und habe im Auto immer schnell den Hosenanzug gegen die Jeans getauscht.“ Aber letztendlich sei man doch ein politischer Mensch und habe sich doch offensiv eingemischt, gestand sie.
Das war auch nie anders zu erwarten. Vater, Großvater und Urgroßvater waren Bürgermeister. Aber das war nicht so ihr Ding. Dennoch startete sie früh mit den wohl in die Wiege gelegten Genen: Schon mit 14 zog es sie in die Junge Union, um dann schnellstmöglich, mit 16, in die CSU einzutreten. Kurze Zeit mit Praktika am Journalismus gekostet. „Karla Kolumna, die rasende Reporterin von Benjamin Blümchen, fand ich schon in der Grundschule großartig, wenn sie die Skandale des Bürgermeisters aufdeckte.“
Politikwissenschaft in München und am OSI. Und weiter im Turbomodus: 2002 über die Liste erstmals im Bundestag, später unter anderem stellvertretende Generalsekretärin ihrer Partei, Staatssekretärin beim Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur und Staatsministerin im Bundeskanzleramt, Beauftragte der Bundesregierung für Digitalisierung und heute stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion für Familie und Kultur, im Ausschuss für Digitales, Ausschuss für Kultur und Medien und noch sehr sehr vieles mehr.
„Von den CSU-Frauen bin ich die Dienstälteste hier“, sagt Bär fast überrascht. Seit 22 Jahren sitzt sie jetzt im Deutschen Bundestag – eine Menge politischer Erfahrung. Was hat sich im Laufe ihrer Karriere verändert zwischen Politik und Journalismus? „Ich denke, das Verhältnis von Politik und Medien war schon immer ambivalent. Auch frühere Minister haben nicht jeden Journalisten beispielsweise auf Auslandsreisen mitgenommen.“ Aber das Tempo, der Druck und die Aufgeregtheit seien größer geworden, meint sie. Überall fordern Journalisten eine Stellungnahme, zu allen Themen, auf allen Kanälen, am besten sofort. „Aber es wäre schon schön, wenn man über eine Frage zunächst eine Sekunde darüber nachdenken könnte“, erklärt sie etwas gereizt.
Und es gebe eine Eskalation in der Gesellschaft. Immer mehr Hass und Gewalt, die auch etwas mit den sozialen Netzwerken zu tun hat. „Empörung, aber keine Vergebungskultur.“ Die Polarisierung habe viele Gründe: vor allem die schwierige wirtschaftliche Lage, Nachwirkungen von Corona und eine Spaltung, die gerade auch durch die AfD angeheizt wird, „zum Beispiel mit diesem ganz schlimmen Wort der Lügenpresse und Fake News, die sie selbst produzieren.”
Was tut sie dagegen als Politikerin? Man müsse viel mehr miteinander reden. In der Schule, in den Wahlkreisen, zu Hause. Die Hintergründe darlegen und diskutieren. „Dann merke ich schon, dass es im Persönlichen gar nicht so aufgeheizt ist. Wir brauchen viel mehr Gelassenheit.“ Gut sei die Herangehensweise, wenn sich jeder zunächst überlege, was eigentlich wäre, wenn die andere Seite Recht hätte.
Und in diesem Sinne gibt’s zum Schluss auch für OSI-Studierende noch einen Tipp: „Rausgehen, viel Praxiserfahrung sammeln in unterschiedlichen Bereichen und sich mal selber so fordern und sagen, man geht ganz bewusst dahin, wo es auch vielleicht schmerzt, raus aus der eigenen Komfortzone.“ Vielleicht war es damals auch ihr Motto auf dem Weg von München zum OSI in Berlin.
