Die verlässliche Riesin
Die dpa ist die größte deutsche Nachrichtenagentur und gilt als Ikone des Faktenjournalismus. Wie hält sich das Konzept? Zeit für einen Besuch.
VON MORITZ KREIMEIER
Der Eingangsbereich der Redaktion in Berlin ist kein Ort zum Entspannen. „Good morning!“ ruft eine bunt gekleidete Frau begeistert allen entgegen, die durch die doppelte Sicherheitstür eintreten. Der Raum öffnet sich zu einem großen Lichthof, zwischen Schreibtischen stehen bunte Sitzmöbel, an einer Kaffeebar wird Latte mit Hafermilch serviert.
Das neue Haus der Deutschen Presse-Agentur (dpa) erweckt eher den Anschein eines Coworking-Space als den eines Großraumbüros. Es scheint, als würde man sich alle Mühe geben, bloß nicht alt und verstaubt zu wirken. Das zeigt sich nicht nur an den Kaffeesorten. Neben der klassischen Nachrichtenredaktion enthält das Berliner dpa-Haus auch ein neues TV-Studio. Im Lichthof veranstaltete die Agentur kürzlich ein Event, bei dem neben den Spitzenpolitikern der Ampel auch Bundestrainer Julian Nagelsmann auftrat. Seit 2022 produziert man hier nicht nur Agenturmeldungen, sondern auch Podcasts. Und das Konzept scheint aufzugehen. Während viele klassische Medien an Auflage einbüßen, feiert die dpa Rekordumsätze.
In diesem Sinne mangelt es bei der dpa nicht an Selbstbewusstsein. Verkörpert wird das durch Sven Gösmann. Der 58-Jährige ist seit zehn Jahren Chefredakteur der Agentur und begann seine Laufbahn am OSI. „Die dpa ist so etwas wie das Wasserwerk der Demokratie“, sagt er, „aus dem Wasser kann man Bier brauen, oder Cola, oder es einfach so lassen.“ Den eigenen Erfolg sieht man also im klassischen Modell begründet. Die Deutsche Presse-Agentur ist eine GmbH, die Besitzanteile liegen bei über 170 Medienunternehmen. Im Gegenzug erhalten diese Nachrichten im Minutentakt, den „dpa-Basisdienst“. Die Qualität wird unter Journalist:innen geschätzt: „Als Faktenquelle ist die dpa wahnsinnig wertvoll“, sagt Robert Ide, Redakteur beim Tagesspiegel. Aus dem alltäglichen Nachrichtengeschäft ist die Agentur kaum wegzudenken, nahezu jedes größere Medium bezieht den Dienst, viele Lokalblätter drucken im überregionalen Teil fast nur noch dpa-Meldungen. Kann derart großes Vertrauen auch gefährlich werden?
„Fakten sind Fakten, wenn die dpa sie meldet“, sagte Bundespräsident Steinmeier einmal bei einem Festakt der Agentur. Und tatsächlich: Eine zurückgezogene Falschmeldung kommt bei der dpa äußerst selten vor. Chefredakteur Gösmann verweist zudem auf die sogenannte Verbreiterhaftung der dpa, die besagt, dass die Agentur rechtlich für Falschmeldungen verantwortlich ist. „Insofern kann ich dem Bundespräsidenten nur zustimmen“, meint er schmunzelnd.
Es ist eine Haltung, die sich durchzieht bei der dpa. Was man berichtet, ist wahr. Auf der Abnehmer-Seite sind die Formulierungen da schon etwas vorsichtiger: „Für uns war die dpa immer etwas überseriös, eben weil sie es allen recht machen will“, sagt Bert Schulz, der OSI-Absolvent leitete lange Zeit die Berlin-Redaktion der taz. „Bei der taz war immer klar, die Welt ist größer, als die dpa sie abbildet.“ Besonders bei linken Kernthemen des Blatts und Berichten über die Polizei verzichte man meist auf Agenturmeldungen oder formuliere stark um.
Die dpa will alle bedienen – von der linken Tageszeitung bis zum konservativen Fernsehprogramm. Da sind kritische Töne eher weniger erwünscht. „Wer haltungsgetriebenen Journalismus machen will, ist bei uns nicht richtig.“, sagt Chefredakteur Gösmann. Hat die dpa dann keine Haltung? „Unsere Haltung ist der liberale Rechtsstaat“, sagt er, „wenn man so will, ist das Grundgesetz unser Kompass.“ Zudem habe die dpa Haltung in anderen Bereichen, wie dem Schutz der Privatsphäre. Grundsätzlich hält man aber fest am Credo der Neutralität: „Im Idealfall weiß man nicht, was der dpa-Redakteur wählt“, meint Gösmann.
Das Konzept kommt bei den Kund:innen gut an: Die dpa ist die mit Abstand größte Nachrichtenagentur in Deutschland. Zwar bestehen die beiden christlichen Angebote epd und KNA, aber keine von beiden wird von den Medienhäusern getragen, wie die dpa. „Das ist problematisch, besonders, wenn einer allein die Preise diktieren kann“, meint Redakteur Robert Ide. Er arbeitete zeitweise für die dapd Nachrichtenagentur, die 2010 versuchte, der dpa in Programm und Größe ebenbürtig zu werden. Zwei Jahre später folgte die Insolvenz. „Wenn man Konkurrenz hätte, wäre es immer besser. Das wissen wir aus allen Medienbereichen“, so Bert Schulz.
Die dpa scheint fest zu sitzen auf ihrem Thron und lässt sich ihren Platz nicht leicht wegnehmen. Doch auch die Monarchin des Geschäfts hat Dinge, die sie aus der Bahn werfen können. Denn das größte Problem eines Unternehmens, das Fakten und Verlässlichkeit als Markenkern verkauft, sind Falschinformationen. Auf Social Media verbreiten sich Fake News schneller als je zuvor, für russische „Troll-Armeen“ sind sie gar die Berufsbezeichnung. 2015 verschickte die dpa eine Meldung: Die Fluggesellschaft Ryanair würde Geflüchtete ohne Visa in EU-Länder fliegen. Die zugrundeliegende Pressemitteilung war ein Fake, die dpa zog ihre Meldung zurück. Doch die Falschinformation war in der Welt. „Die Lüge wird immer schneller sein als die Wahrheit“, sagt Chefredakteur Gösmann heute. Aus diesem Grund ist ein großer Teil der dpa-Arbeit mittlerweile verifizieren ohne Ende, insbesondere auf Social Media.
Dabei ist einerseits wichtig mitzubekommen, was sich im Internet gerade verbreitet: „Wir haben das sogenannte ‚Listening-Center‘ als eine Art Frühwarnsystem, dort beobachten wir, wo sich Informationen auf Social Media ballen“, so Gösmann. Darüber hinaus beschäftigt die dpa 40 Mitarbeitende im „Verification Team“, die eine Meldung genau überprüfen, bevor sie die Agentur verlässt. Doch auch das beste Verifizieren kann nur bedingt wirken: „Auf Social Media ist das ein Tropfen auf den heißen Stein“, meint er.
Auch in eher stürmischen Zeiten des Mediengeschäfts kann sich die dpa behaupten. Gerade die Verlässlichkeit beim Verifizieren von Meldungen zeigt, dass das klassische Konzept der Nachrichtenagentur auch im digitalen Zeitalter funktionieren kann. Sogar der kritische Ex-taz-Redakteur Schulz räumt ein: „Sie haben sich relativ wenig vorzuwerfen“. Viel größer wird das Lob wahrscheinlich nicht.
Sven Gösmann wurde 1966 in München geboren. Er studierte Politikwissenschaft am OSI und schrieb unter anderem für die Berliner Morgenpost. Später übernahm Gösmann leitende Funktionen bei der Welt am Sonntag und der Bild-Zeitung. Seit 2014 ist Gösmann Chefredakteur der Deutschen Presse-Agentur (dpa).
