Vererbt nicht verdient

Was die Erbschaftssteuer mit der Schuldenbremse zu tun haben könnte

VON SOFIE SCHIFFER

Die 33-jährige Marlene Engelhorn ist Millionen-Erbin. Doch sie will das Geld nicht: 27 Millionen Euro. Die Großmutter der wohlhabenden Familie, die einen Großteil ihres Vermögens durch das Chemieunternehmen BASF aufgebaut hat, hinterließ das Geld ihrer Enkelin. Engelhorn aber meint, dass derart große Vermögen – vor allem aus Erbschaften – zu sozialer Ungleichheit beitragen. Sie findet es ungerecht, dass Einzelpersonen durch Geburt oder familiäre Beziehungen in solchen Ausmaßen begünstigt werden, ohne dafür gearbeitet zu haben. Sie hat die Initiative „Tax Me Now“ mit gegründet, eine Gruppe wohlhabender Menschen, die sich für eine stärkere Besteuerung von sehr großen Vermögen einsetzt.

Vermögensungleichheit und Neiddebatte

An diesen Gedanken knüpft ein interdisziplinäres Forschungsprojekts unter Beteiligung der FU Berlin und der TU Dortmund an, das die Entstehung von Reichtum und Vermögensungleichheit in Deutschland thematisiert. Das Forschungsteam nimmt insbesondere die deutsche Erbschaftsteuer und Wirtschaftseliten in den Blick. Dabei untersuchen die Forschenden Diskurse und Narrative zu verdientem und unverdientem Reichtum. “Deutschland hat für ein industrialisiertes Land und für eine westliche Demokratie eine unglaublich hohe Vermögensungleichheit. Wie kann man rechtfertigen, dass es Menschen gibt, die so viel mehr haben als alle anderen?“ fasst Philipp Lepenies, Professor für Politik und Nachhaltigkeit am OSI, die grundlegende Fragestellung des Projekts zusammen. Lepenies nennt zum Beispiel das Narrativ der „Neiddebatte“ im Diskurs um die Erhöhung der Erbschaftsteuer als gesellschaftliches Problem. Sie würde eine konstruktive Auseinandersetzung mit dem Thema verhindern und Befürworter einer progressiven Erbschaftssteuer als „Neider“ darstellen. Das Projekt, an dem Lepenies beteiligt ist, zeigt Möglichkeiten für eine Neuausrichtung der Debatte in Deutschland auf und verweist zugleich auf Lücken in der Forschung zu Reichtum und Vermögen.

Narrative, die eine echte Debatte verhindern

Nicht nur in puncto sozialer Gerechtigkeit sei eine Debatte zur Legitimität von Reichtum und Erbschaft wichtig, so Lepenies. Alternative Arten der Vermögensverteilung – etwa eine höhere Erbschaftssteuer – könnten auch in der aktuellen Debatte um die Schuldenbremse eine neue Perspektive bieten. Doch die Diskussion um die Schuldenbremse übertöne viele Stimmen, die sich für alternative Lösungen zur Entlastung des deutschen Bundeshaushaltes einsetzen. „Es ist bemerkenswert, dass die Volkswagenstiftung festgestellt hat, dass es zwar ganz viel Forschung zu Armen gibt, aber dass die andere Seite, nämlich die der Vermögenden und der Reichen vollkommen untererforscht ist“, gibt Lepenies zu bedenken und lobt die neue Forschungsperspektive.

Die Schuldenbremse als Denkblockade

In Deutschland existiert eine progressive Erbschaftssteuer, doch vor allem bei großen Betriebsvermögen gibt es nach wie vor Steuerlücken. Das Erbschaftsteuerrecht in Deutschland widerspricht nach mehreren Urteilen des Bundesverfassungsgerichts und anschließenden politischen Nachbesserungen nicht direkt dem Gleichheitsgrundsatz, doch weitere Veränderungen werden politisch diskutiert, auch mit Blick auf eine Vermögenssteuer für große Vermögen.

Philipp Lepenies plädiert dafür, Alternativen zur Schuldenbremse in den Blick zu nehmen. Denn sie zeige ihre gewünschte Bremskraft nicht nur bezüglich steigender Staatsausgaben, sondern auch hinsichtlich eines Ideenreichtums und einer Wirtschaftspolitik, die auf soziale Gerechtigkeit abzielt. Es müssten wieder mehr Verteilungs-Debatten geführt werden, ist sein Credo. 

Gerechtigkeit als Haushaltsstrategie?

Die Schuldenbremse könne auch dazu führen, dass langfristige Investitionen zum Beispiel in Infrastruktur, Bildung und Forschung nicht in ausreichendem Maße finanziert werden und benachteiligte Gruppen eine stärkere Belastung erfahren, gibt Lepenies zu bedenken. Das Forschungsprojekt “The Deserving Rich” – eine Analyse der (Re-)Produktion von Reichtum wird bis 2027 fortgeführt.

Dr. Philipp Lepenies

Dr. Philipp Lepenies ist Professor für Politik mit Schwerpunkt Nachhaltigkeit am Otto-Suhr-Institut und Leiter des Forschungszentrums für Nachhaltigkeit FFN. Er studierte von 1990 bis 1997 Volkswirtschaftslehre an der FU Berlin und absolvierte sein Master-Examen an der London School of Economics. Nach seinem Promotionsstudium folgte die Verfassung seiner Habilitationsschrift, für die er die Lehrberechtigung für Politikwissenschaften erhielt. Er schrieb mehrere Bücher, unter anderem zu Gründen und Folgen von Armut und zum Thema „Verbot und Verzicht“

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