OZ 30 Demokratie

Was wird aus dem Land of the Free?

Der Sinkflug der amerikanischen Demokratie

 VON THERESA SCHILLER

Einst als Mutterland der modernen Demokratie gefeiert, galten die Vereinigten Staaten lange Zeit als weltweites Vorbild für Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und politische Teilhabe. Doch dieses demokratische Ideal gerät zunehmend ins Wanken – und zwar erstaunlicherweise von innen heraus. Wir haben darüber mit zwei USA-Experten gesprochen:  Jan-Werner Müller, OSI-Alumni und Professor für Politische Theorie an der University of Princeton, und Lora Anne Viola, US-amerikanische Politikwissenschaftlerin und Professorin am John F. Kennedy-Institut der FU. 

Jan-Werner Müllers erste Einordnung der derzeitigen Situation in den USA lautet: “Das ist der Versuch eines Autokraten in spe, der regulär gewählt wurde, die Demokratie und den Rechtsstaat von innen heraus zu zerstören. Die Besonderheiten des amerikanischen politischen Systems machen das erst möglich.” Und auch Lora Anne Viola befürchtet, dass die transatlantischen Beziehungen nicht nur in einer Krise stecken, sondern dass wir gerade eine grundsätzliche strukturelle Veränderung erleben. Wie konnte es so weit kommen?

Ursprung der Demokratie-Erosion 

Viola erklärt, in den USA hätten sich die sozioökonomischen Ungleichheiten in den letzten Jahrzehnten so entwickelt, dass sie zu einer Spaltung des Landes geführt hätten. Quasi eine Spaltung zwischen Wählern mit Collegeabschluss, die zu den Demokraten tendierten und Wählern ohne Hochschulabschluss, die zu den Republikanern neigten. “Das führte zu Enttäuschung gegenüber sogenannten Eliten, aber auch zu kulturellen Ressentiments, die populistische Appelle attraktiv machten.” In diesem Sinn, sagt Viola, war Trump “der richtige Mann zum richtigen Zeitpunkt”. Und es erklärt Trumps aggressives Vorgehen gegen die Universitäten. 

Könnte den USA die Demokratie tatsächlich abhandenkommen?

Democratic Backsliding ist in modernen Demokratien die häufigste Art des Systemwechsels in die Autokratie. Da dieses Abrutschen der Demokratie aber langsam und schrittweise gehe, bleibe der Übergang zur Autokratie eine Grauzone, sagt Viola. Im Moment nutze Trump z.B. die Gerichte, um Regeln und Normen wie das Wahlrecht oder Free Speech einzuschränken – noch begründet mit demokratischen Argumenten.

 Wie also raus aus der Krise der Demokratie?

“Es ist eine kritische Situation”, sagt Viola. Aber es gebe noch die Möglichkeit zu handeln, erklären beide Professor:innen zuversichtlich. Da sei die Chance der Midterm-Elections, man könne an Protestaktionen teilnehmen, wirtschaftliche Sanktionen gegen diese Politik initiieren und es gebe Gerichte, die noch ihre Arbeit machten. 

Müller appelliert an den Widerstandsgeist. Was es brauche, seien Akteure, die sich trauen, Trump zu widersprechen und die es schaffen, die amerikanische Bevölkerung zu mobilisieren. Die demokratische Partei müsse sich neu und geschlossener aufstellen und ihre Aufgabe als Oppositionspartei annehmen: „Es ist nicht „business as usual.“

Und was sollten wir in Europa tun?

Professor Müller fordert, dass „man aus der strukturellen Abhängigkeit von den USA heraus muss“. Gleichzeitig sei es wichtig, sich bewusst zu machen, dass rechtspopulistische und -extreme Positionen und Politiken nur dann gesellschaftlich an Boden gewinnen würden, wenn sie von etablierten konservativen Akteuren mitgetragen würden. Insgesamt solle Europa seine Handlungsmöglichkeiten sowie interne Ressourcen nutzen, um sich selbst zu stärken, so Violas Appell. Hierbei geht es vor allem um demokratische Elemente wie etwa das Mediensystem, Parteien und Organisationen.Viola mahnt: “Man kann die Entwicklungen in den USA nicht aus der Distanz betrachten und bloß sagen: ‚Wie schlimm, was dort geschieht‘, ohne zugleich zu erkennen, dass Ähnliches auch hier möglich wäre. Vielmehr müssen wir uns fragen, wie wir unsere politischen und gesellschaftlichen Institutionen und die wissenschaftliche Infrastruktur so stärken können, dass unsere Gesellschaft nicht in eine vergleichbare Lage gerät.”

Jan-Werner Müller hat an der FU Berlin, in London, Oxford und an der Princeton University studiert. Seit 2005 hält er eine Professur der Princeton University für Politische Theorie inne und ist Autor (u.a. für Die Zeit und die Süddeutsche Zeitung). Außerdem ist Müller Mitgründer des European College of Liberal Arts.

Lora Anne Viola ist Politikwissenschaftlerin und Professorin am John-F.-Kennedy Institut der FU Berlin und beschäftigt sich u.a. mit Außen- und Sicherheitspolitik in Nordamerika. Die gebürtige New Yorkerin hat erst an der Columbia University und in  Chicago studiert und promoviert. Nach Forschungsaufenthalten in Berlin, Stanford, Oxford und München wurde sie 2020 ordentlicher Professorin  an der FU. Hier organisierte sie u.a. im SoSe 25 eine Guest Lecture zur US-Außenpolitik mit Professor:innen amerikanischer Universitäten.

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