Wer soll das bezahlen?
Thomas Risse zu den finanziellen Herausforderungen der Bundeswehr
VON MARIIA TARASENKO UND LEO KÖNNEKE
2022 wurde das Sondervermögen Bundeswehr in Höhe von 100 Milliarden Euro beschlossen. Doch weitere Militärausgaben sind aufgrund des Kriegs in der Ukraine, der unwägbaren Haltung Russlands und zusätzlicher Ausgaben für Krisen und Innovationen unumgänglich. Fragen dazu stellen wir an Professor Thomas Risse, Seniorprofessor am Exzellenz-Cluster “Contestations of the Liberal Script” (SCRIPTS).
OSI-Zeitung: Wie steht es um die gegenwärtige Verteidigungskraft der Bundeswehr?
Thomas Risse: Durch die 2022 von Bundeskanzler Scholz ausgerufene Zeitenwende ist Deutschland dabei, langsam wieder seine Verteidigungsfähigkeit aufzubauen. Sie war nach dem Ende des Kalten Krieges mehr als 20 Jahre lang vernachlässigt worden. Mit den bekannten Folgen. Wir hatten einen Anteil der Verteidigungsausgaben am BIP um 1 %. Schon 2014 hatte sich die NATO auf 2 % verständigt. Erst jetzt, zehn Jahre später, hat es die Bundesregierung zum ersten Mal geschafft, die NATO-Vorgaben einzuhalten. Ohne das Sondervermögen von 100 Milliarden Euro würden wir die 2 % überhaupt nicht erreichen.
Die Situation verbessert sich nur allmählich…
Wenn Sie jetzt sagen, die deutsche Marine muss aufgebaut werden, brauchen wir ein Fregattenprogramm. Das dauert vier Jahre, bis ein Schiff fertig ist. Das sind heute alles hochtechnisierte Geräte, ebenso wie Panzer oder Flugzeuge. Wenn man nicht bedroht ist, braucht man nicht aufzurüsten. Es ist nicht so, dass das Vorgehen beim Verteidigungsetat in der Vergangenheit einfach nur bescheuert war, aber jetzt muss umgestellt werden.
Können Sie erklären, warum Deutschland das braucht?
Weil wir eine reale Bedrohung haben, wie wir sie im Kalten Krieg auch schon hatten. Russland hat heute eine aggressive imperiale Ausrichtung. Man sieht das an der Ukraine, wo seit fast drei Jahren ein Stellungskrieg geführt wird. Wenn das dort schief gehen sollte, dann weiß man nicht, wer als nächstes dran ist. Die baltischen Staaten, Polen, also NATO-Staaten.
Für wie realistisch halten Sie die Gefahr, dass Putin sich erlauben würde, die NATO anzugreifen?
Ich bin kein Geheimdienstler. Aber die Leute, die etwas davon verstehen, sagen, dass – wenn wir nichts tun – Russland in 5 Jahren in der Lage wäre, die NATO anzugreifen. Das ist schon bedenklich.
Spätestens 2014 hätte man aufwachen müssen. Zunächst hatte Putin 2007 auf der Münchner Sicherheitskonferenz de facto angekündigt, was er vorhat. Gleichzeitig ist damals der erste Stellvertreterkrieg in Georgien ausgebrochen. Anschließend kommt 2014 der erste Ukrainekrieg. Danach hat man jahrelang mit Putin verhandelt. Die damalige Kanzlerin Merkel hat 2008, zusammen mit dem französischen Präsidenten Sarkozy verhindert, dass die Ukraine in die NATO aufgenommen wird. Die damalige US-Administration unter George W. Bush wollte die Ukraine in die NATO aufnehmen, um Russland zu zeigen, jetzt ist Schluss. Damals haben Merkel und Sarkozy argumentiert, man solle Russland nicht weiter provozieren, die Ukraine sei ein ehemaliger Sowjetstaat, das sei zu gefährlich.
Wie beeinflusst die Wahl Donald Trumps zum neuen US-Präsident die geopolitische Lage?
Dadurch wird die Lage noch sehr viel dramatischer. Es bedeutet, dass in Zukunft europäische Sicherheit in erster Linie europäisch bereitgestellt werden muss. Und was die Ukraine angeht, bedeutet es, dass wir die Hauptverantwortung für die Sicherheitsgarantien tragen müssen. Man kann nur spekulieren, was Trump machen wird. Wenn sich die USA sehr schnell aus der Unterstützung der Ukraine rausziehen, kriegen wir hier ein richtiges Problem. Ich hoffe, dass das etwas langsamer geht, dann haben wir die Möglichkeit, die Unterstützung der USA zu kompensieren. Aber: Ein Waffenstillstand ist kein Friedensvertrag. Solange russische Truppen auf besetztem Gebiet der Ukraine stehen, kann es keinen Friedensvertrag mit Russland geben. Um zu verhindern, dass der Krieg dann in zwei, drei oder fünf Jahren erneut losgeht, sind glasklare Sicherheitsgarantien für die Ukraine notwendig.
Denken Sie, es lohnt sich für Deutschland, so viel Geld in die Verteidigung der Ukraine zu stecken?
Wir müssen verstehen, das ist unsere eigene Verteidigung! Es ist nicht so, dass wir das aus Nettigkeit für die Ukraine tun. Es geht um die eigene Sicherheit. Wir sind im 21. Jahrhundert. Hybride Kriegsführung, Cyberwarfare sind die Schlagworte. Konventionelle Kriegsführung, wie wir sie in der Ukraine sehen, ist nur noch ein Teil moderner Kriegsführung. Unsere kritische Infrastruktur ist extrem verletzlich. Wenn Russland einen Cyberangriff auf unsere Energieversorgung startet, geht hier das Licht aus. Aus meiner Sicht ist die Lage sehr bedrohlich.
Ganz konkret: Welches finanzielle Volumen brauchen wir zur Aufrüstung der Bundeswehr und für eine Sicherheitsgarantie der Ukraine?
Das Minimum ist, das 2%-Ziel jedes Jahr durchzuhalten. Verteidigungsminister Pistorius und jetzt auch Robert Habeck beziffern die Notwendigkeit auf 3 bis 3,5% des BIP. Wie das erreicht werden kann, ohne entweder die Schuldenbremse zu reformieren oder bei den Sozialausgaben, Bildung oder all den anderen Bereichen zu kürzen, weiß ich nicht. In den 80er Jahren während des Kalten Krieges, erreichte der Verteidigungsetat der Bundesrepublik noch 3 bis 3,5% des BIP. Das verdeutlicht, was wir für einen ungeheuren Nachholbedarf haben.
Wo soll das Geld herkommen? Sie haben es angesprochen: zur Debatte stehen unter anderem eine Veränderung der Schuldenbremse, stärkere Ausgabenkürzungen und höhere Steuersätze.
Ich zitiere den Kanzlerkandidaten der CDU, Merz. Er hat bei einem Wirtschaftsforum der SZ gesagt, es wäre das eine, die Schuldenbremse auszusetzen und das andere, bestimmte Investitionen nicht mehr von der Schuldenbremse betreffen zu lassen. Dafür braucht es dann eine Grundgesetzänderung mit 2/3 Mehrheit. Ein klares Signal von Merz. Ich würde nicht pauschal sagen, dass wir die Schuldenbremse aussetzen müssen, aber die meisten Beobachter der Situation sagen, dass wir erhebliche Investitionen brauchen
Das heißt, es führt kein Weg daran vorbei, die Schuldenbremse zu ändern?
Ich gehe davon aus. Und ich gehe davon aus, dass die nächste Bundesregierung sich darum kümmern muss.
Welche gesellschaftlichen Konsequenzen hätte es, dem Land zu sagen, wir müssen uns für die Bundeswehr neu verschulden?
Wir diskutieren ja darüber, die Schuldenbremse aufzuweichen. Da gibt es Leute, die kommen mit der Kürzung des Bürgergelds an oder so. Ehrlich gesagt, das ist alles nur symbolische Politik. Aber die großen wichtigen Investitionen müssen aus der Schuldenbremse rausgenommen werden Das würde uns erlauben, zumindest die 2 % und vielleicht auch mehr zu bezahlen, sprich diesen Aufwuchs, den wir jetzt dringend brauchen, sowohl für die Unterstützung der Ukraine als auch um uns selbst, wie Pistorius es nennt, kriegstüchtig zu machen. Es geht um Kriegsverhinderung durch Abschreckung. Putin hat gezeigt, dass er durchaus abschreckbar ist. Der ist nicht durchgeknallt oder irrational, er betreibt sehr rationale Politik. Und er versucht auch nicht, bisher jedenfalls nicht, in eine direkte Konfrontation mit der NATO zu geraten.
Versteht die Gesellschaft dieses abstrakte Ziel?
Ich glaube nicht, bisher nicht. Die Kommunikation durch die Politik ist immer noch so: Och, wir kriegen das alles irgendwie hin, die Lage ist zwar schwierig, aber nicht dramatisch. Wir stehen nicht unmittelbar vor einem dritten Weltkrieg, man muss die Leute nicht in Panik versetzen. Aber es ist eine ernste Lage, und in einer ernsten Lage braucht man eine Entschlossenheit, damit umzugehen.
Spaltet das die Gesellschaft nicht noch mehr?
Momentan gibt es noch eine große Bereitschaft, die Ukraine zu unterstützen.
Eine Mehrheit, aber keinen Konsens.
Nein, sie haben ja auch einen Gegendiskurs. Wir haben den AfD-Diskurs und den BSW-Diskurs…
…, der immer stärker wird,…
Und zumindest in den östlichen Bundesländern sehr stark ist und im Bundestagswahlkampf nochmal stärker wird, weil Wagenknecht und auch AfD versuchen werden, das Friedensthema zu besetzen. Auch bei der SPD merkt man, dass sie bei diesem Thema wackelt. Auf der anderen Seite ist Pistorius immer noch der beliebteste Politiker. Das hat es sehr lange nicht gegeben, dass der beliebteste Politiker im Land – mit weitem Abstand – der Verteidigungsminister ist! Das heißt, dem hören die Leute zu. Und das ist ein gutes Zeichen.
Mit welchen wirtschaftlichen und politischen Konsequenzen müssen wir rechnen?
Wir machen uns das Leben schwer in Deutschland mit der Schuldenbremse. Wir haben die niedrigste Schuldenlast in ganz Europa. Unter den hochindustrialisierten Ländern sind wir in der untersten Gruppe. Man kann darüber streiten, ob eine Politikentscheidung wie zum Beispiel eine Schuldenbremse überhaupt in eine Verfassung gehört. Und selbst wenn man sie nicht abschaffen will, kann man sie begrenzen. Jeder Ökonom sagt, investive Ausgaben sollten von einer Schuldenbremse ausgenommen werden. Denn sie kommen uns zugute. Sie bewirken ökonomisches Wachstum.
Die Schuldenbremse war in ihrer Form damals ein Fehler?
Ich persönlich bin der Meinung, dass politische Entscheidungen dieser Art nicht in Verfassungen hineingehören. Verfassungen sind dazu da, zum Beispiel Grundrechte festzuschreiben, das grundsätzliche politische Institutionengefüge zu beschreiben, aber nicht um bestimmte Politikinhalte zu kodifizieren. Selbstverständlich ist es nicht gut, wenn man Schulden anhäuft, weil künftige Generationen dafür bezahlen müssen. Aber künftige Generationen müssen auch dafür bezahlen, wenn unsere Infrastruktur kaputt ist, wenn wir uns nicht mehr verteidigen können und so weiter. Das sind politische Abwägungsfragen, für die Politiker Verantwortung übernehmen müssen.
Professor Thomas Risse
Professor Thomas Risse war Professor für internationale Beziehungen am OSI und ist jetzt Seniorprofessor am Exzellenz-Cluster “Contestations of the Liberal Script” (SCIPTS). Nach einem Studium in Bonn und Paris promovierte er an der Goethe-Universität in Frankfurt am Main. Nach mehreren Stationen an renommierten Universitäten in Deutschland und im Ausland kam er 2001 nach Berlin an die FU. Sein Forschungsschwerpunkt liegt auf der Theorie der internationalen Beziehungen, Menschenrechten und dem transatlantischen Verhältnis.
