Wieviel Schuldenbremse verträgt die Zukunft?

 Eine Frage der Generationengerechtigkeit

Von LILLY GRUNERT, ELLA BAUMANN UND BENT POLSTER

“Sie kürzen unsere Zukunft weg”! Mit diesem Aufschrei protestiert ein Bündnis aus Fridays For Future, Jusos, Grüner Jugend und weiteren Jugendverbänden gegen die Schuldenbremse. In einem offenen Brief an die Bundesregierung fordern sie, die Schuldenbremse auszusetzen und perspektivisch abzuschaffen. Versäumte Investitionen würden zukünftige Generationen belasten.

Ein Festhalten an der Schuldenbremse fordert dagegen ein Zusammenschluss aus Jungen Liberalen, Junger Union und jungen Wirtschaftsorganisationen mit dem Argument: “Die Schulden von heute sind die Steuererhöhungen von  morgen.” Nun stellt sich die Frage: 

Sparen oder investieren – was ist eigentlich generationengerecht? 

Die Schuldenbremse ist ein “Misstrauensvotum gegen die Politik”, sagt Finanztip-Chefredakteur und OSI-Absolvent Hermann-Josef Tenhagen. Er hält die Schuldenbremse gerade in Hinblick auf die Frage der Generationengerechtigkeit für verfehlt. Im Bereich der Infrastruktur seien in den letzten Jahren zu wenig Investitionen getätigt worden, was den Staat jetzt vor enorme Herausforderungen stelle: In den letzten Jahren waren die Zinsen so niedrig wie nie. Man hätte sehr viele Möglichkeiten  gehabt, zu sehr geringen Kosten relativ viele Zukunftsinvestitionen zu machen – hat man aber nicht. Wir sind mit der Investitionsquote unserer Volkswirtschaft total hinten dran.” 

Anstatt sicherzustellen, dass Ausgaben bereits mit Blick in die Zukunft getätigt werden, um  künftigen Generationen haushaltspolitisch bestmögliche Grundlagen zu bieten, verhindert die  Schuldenbremse in seinen Augen eine solche Zukunftsorientierung. Entgegen ihrer  ursprünglichen Bestimmung führe sie zur Beschränkung der politischen  Handlungsfähigkeit, trotz enormen Handlungsbedarfs. Tenhagen betont, es sei Aufgabe der Politik, nicht des Rechts, zu entscheiden, wie der Staat Ausgaben tätigen soll. Die Sorge, ohne die Schuldenbremse würden unverhältnismäßig hohe Ausgaben getätigt und damit zukünftige Generationen belastet, ergebe in der aktuellen Lage keinen Sinn, meint Tenhagen, zumal ausbleibende Investitionen mit wesentlich höheren Kosten in der Zukunft verbunden wären. Zukünftigen Generationen eine Welt ohne Schulden, aber mit jeder Menge Baustellen zu überlassen, sei alles andere als gerecht.

Wie könnte eine Reform der Schuldenbremse aussehen? 

Ein populärer Vorschlag, den unter anderem die Grünen in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2025 aufgenommen haben, ist die Wiedereinführung einer Investitionsregel. Der Staat darf nach dieser Regel nur Kredite aufnehmen, um zu investieren, aber nicht, um laufende Ausgaben im Haushalt zu decken. So hinterlasse man der jungen Generation keine unnötigen Schulden, aber auch keine unterlassenen Investitionen, heißt es im Wahlprogramm. 

Die SPD beschreibt eine vage Innovation bei der Schuldenbremse: „Wir schaffen einen Deutschlandfonds, der öffentliches und privates Kapital mobilisiert, um die wichtigen Investitionsbedarfe erfüllen zu können.“  Der Fonds solle „anfangs mit 100 Milliarden Euro ausgestattet werden, so dass er auch im bestehenden Rahmen der Schuldenregel unseres Grundgesetzes funktioniert.“  

Die CDU schreibt wiederum in ihrer Agenda 2030, die Ampel habe durch ein permanentes Schlechtreden die grundgesetzliche Schuldenbremse geprägt. Die Christdemokraten aber wüssten, “dass nur seriöses Haushalten vor einer Neuauflage der Euro-Schuldenkrise und den Steuererhöhungen von morgen schützt”

Der Rat der Wirtschaftsweisen, der die Bundesregierung in gesamtwirtschaftlichen Fragen berät, fordert hingegen eine höhere Flexibilität der Schuldenbremse, abhängig von der konjunkturellen Lage. Durch Übergangsregelungen nach ökonomischen Krisen und vom Schuldenstand abhängige Defizitgrenzen könne die Schuldenbremse gelockert werden, ohne die wirtschaftliche Stabilität des Landes zu gefährden. 

Wie es um die Zukunft der Schuldenbremse steht, wird sich erst nach der Wahl am 23. Februar entscheiden. Breite Investitionen wird jede Koalition tätigen müssen. Wer dafür zusätzliche Kreditaufnahmen ausschließt, muss andere Finanzierungs- oder Sparmöglichkeiten vorlegen. Und ob diese eine generationengerechtere Wirkung entfalten würden, bleibt fraglich.

Hermann-Josef Tenhagen:

Hermann-Josef Tenhagen studierte von 1984 bis 1990 Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft am OSI, in Bonn und den USA. Nach seinem Abschluss wurde er Redakteur bei der taz und gründete das Ressort „Wirtschaft und Umwelt“ mit.1996 wurde er stellvertretender Chefredakteur der Zeitung.1999 wechselte er zur Zeitschrift Finanztest, wo er 15 Jahre als Chefredakteur wirkte. Seit 2014 ist Tenhagen Chefredakteur und Geschäftsführer bei Finanztip, einem unabhängigen Geld-Ratgeber.

Nach oben scrollen