“Wir laufen Gefahr, als Informationsquelle immer weniger wahrgenommen zu werden.”
Drei Hauptstadtkorrespondenten zu den Herausforderungen des Politikjournalismus
VON ANNETTE AHRENS, ANTONIA BOHLÄNDER UND SUZIE HOLT
In Deutschland hat sich in den letzten Jahren eine zunehmend feindselige Haltung gegenüber Politik und Medien verbreitet. Reporter:innen werden verprügelt, ihre Ausrüstung zerstört, im Internet werden sie massiv bedroht, dokumentieren NGOs wie Reporter ohne Grenzen oder das European Centre for Press and Media Freedom. Zudem hat sich der Begriff Lügenpresse fest etabliert.
Gleichermaßen sind Politiker:innen täglich mit Hetze und Drohungen im Internet konfrontiert, einige werden beim Aufhängen von Wahlplakaten angegriffen. Unvergessen bleibt der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der 2019 von einem Rechtsradikalen erschossen wurde. Diese Entwicklung kann in letzter Konsequenz eine Gefahr für die Demokratie darstellen, sagt Torben Ostermann, ARD-Hauptstadtstudio-Korrespondent in Berlin.
Die Gesellschaft aufgerieben, aufgeregt und skeptisch gegeneinander. Während von den Medien, allen voran den öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, Objektivität eingefordert wird, blüht auf Social Media Hass und Hetze. „Bei Social Media ist alles Meinung und Kommentar, Objektivität wird hier kaum gefordert“, sagt Martin Polansky, OSI-Absolvent und heute Hörfunkkorrespondent ebenfalls im ARD-Hauptstadtstudio.
„Eine große Herausforderung für den Politikjournalismus ist auch einfach das schnelle Tempo. Die Schlagzahl an Aussagen, Statements und Reaktionen darauf“, so Ostermann. Es wird von allen Seiten viel kommuniziert. „Verbände, Lobbyorganisationen, aber auch bestimmte Medien, die vieles im Sinn haben, aber sicherlich nicht primär ein Publikum gut zu informieren.“
Der Vorwurf gegenüber dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk lautet heute: einseitige und tendenziöse Berichterstattung. Lange wurden die Medien als vierte Gewalt bezeichnet und wahrgenommen. Eine Art Kontrollinstanz, die die Arbeit der Politik genau unter die Lupe nimmt. Eva Quadbeck, Chefredakteurin des Redaktionsnetzwerk Deutschland sagt, das habe sich geändert. Heute überwiege das Misstrauen gegenüber den Medien. „Das ist eng gekoppelt mit einem Vertrauensverlust, vor allem auch in der Politik. Da wir Politik darstellen und über Politik berichten, werden wir nach meiner Wahrnehmung auch zunehmend mit den politischen Inhalten assoziiert”, ergänzt Ostermann.
Wir laufen Gefahr, als Informationsquelle immer weniger wahrgenommen zu werden“, erklärt Martin Polansky mit Blick auf die Vielzahl von Online-Medien und alternativen Informationswegen. Quadbeck spricht in dem Zusammenhang von der Emanzipation der Konsument:innen. Die Abhängigkeit von Presse und Fernsehen als Informationsmedium sei entschieden zurückgegangen. Heute könne jeder eine digitale Meinung haben und sein eigener Publisher sein, so Quadbeck. Gerade dies berge allerdings die Gefahr der Desinformation und Radikalisierung.
Besonders kritisch sieht Ostermann die Möglichkeit der Entstehung von Meinungsblasen auf Social Media. Die ständige Konfrontation mit einer einheitlichen Meinung über lügende Medien und betrügende Politiker:innen, mache es unmöglich, solche Personen zu erreichen und führe letztlich zur Radikalisierung. “Um fundierte politische Entscheidungen treffen zu können, bedarf es Zugang zu genauen Informationen und Vertrauen in deren Richtigkeit”, so Dennis Steffan, Dozent für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft an der FU. Die Abkehr von den klassischen Nachrichtenmedien mache die betreffenden Bürger:innen empfänglicher für alternative Angebote und damit für Fehl- und Desinformation.
Für Politiker:innen sei es durch das Aufkommen von Social Media deutlich einfacher geworden, sich ihren Wähler:innen vorteilhaft zu präsentieren und mit ihnen ungefiltert, das heißt ohne journalistische Interventionen, zu kommunizieren, wie Steffan erklärt. Gerade die AfD, die Partei mit der höchsten Like-Zahl auf Tiktok, nutzt Social Media aktiv zu ihrem Vorteil – mit beunruhigendem Erfolg.
Wie der richtige Umgang mit der AfD und ihren Inhalten in der Berichterstattung aussehen soll, gilt es zu diskutieren. Die AfD sei zweitstärkste Partei in Deutschland, deshalb werde selbstverständlich auch über sie berichtet, sagt Ostermann. Auch Quadbeck ist davon überzeugt, dass eine kritische Auseinandersetzung mit der AfD und ihren Inhalten notwendig sei, da man nur so die tatsächlichen Ziele der AfD aufdecken könne. Es gebe jedoch einen klaren Unterschied in der Berichterstattung über die AfD im Vergleich zu anderen Parteien. „Wir müssen uns bewusst sein, dass wir da einer Partei gegenüber stehen, die dieses freiheitliche System stürzen will. Da sagen wir, wir sind eine wehrhafte Demokratie und wir dürfen nicht zulassen, dass der AfD Raum gegeben wird, mit Hilfe von uns als Medium die Demokratie auszuhebeln“, betont Quadbeck.
Martin Polansky studierte Politikwissenschaft am OSI. Seit 2018 arbeitet er im Berliner ARD-Hauptstadtstudio, zunächst als Fernsehkorrespondent, jetzt vor allem für die Hörfunkredaktion und für Online. Zuvor war er fünf Jahre ARD-Hörfunkkorrespondent für Mexiko und Mittelamerika.
Eva Quadbeck ist Chefredakteurin und Leiterin der Hauptstadtredaktion des Redaktionsnetzwerks Deutschland (RND). Zuvor war sie Stellvertretende Chefredakteurin bei der Rheinischen Post.
Torben Ostermann kommt von Radio-Bremen und ist derzeit Korrespondent im ARD-Hauptstadtstudio. Er moderiert auch den Zukunfts-Podcast “mal angenommen”.
Dennis Steffan ist zur Zeit Gastprofessor am Fachbereich Politik- und Sozialwissenschaften der FU und lehrt am Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft zum Thema Politikberichterstattung.
